- Josef Karner, Wirtschaftsministerium
- Michael Ludwig, Wohnbaustadtrat Wien
- Elisabeth Stampfl-Blaha, ASI
- Wilhelm Zechner, Vorstand Sozialbau
- Herbert Ablinger
waren heute abend von "Report" zu einer Diskussion über das neue Normengesetz eingeladen; die Geschichte wird voraussichtlich in der nächsten Ausgabe von "Report" publiziert. Meine Antworten als Vorabinfo untenstehend.
Mit besten Grüßen,
Herbert Ablinger
- Sie sind als großer Kritiker des heimischen Normenwesens bekannt und sehen sich selbst als Normenbändiger. Was sind Ihre Hauptkritikpunkte am österreichischen Normenwesen?
[Herbert Ablinger]
Ich sehe mich nicht als Normenbändiger, sondern bin Architekt und Bauingenieur.
LeonardoWelt als Plattform für Architekten und Ingenieure versucht die Rahmenbedingungen für Baukultur zu verbessern, weil aber das Normenwesen ausgeufert und zu einem Normenunwesen geworden ist, bräuchte es also „Normenbändiger“.
Normen werden wesentlich durch wirtschaftliche Interessen jener Organisationen oder Unternehmen geprägt, die Normenausschüsse beschicken. Öffentliche Interessen, wirtschaftlich kostengünstiges Bauen oder gar Aspekte der Baukunst stehen im Hintergrund, oft dominieren Produktplatzierung, Produktverkauf, Umsatzsteigerung, überzogene Sicherheitsforderungen statt sinnvolles Regelwerk oder gar Hilfestellung für Planer.
Nachdem das Normeninstitut auf konkrete Kritikpunkte nicht reagiert hatte, haben wir uns mittels Umfragen innerhalb der Berufsgruppe bemüht, Missstände aufzuzeigen (um nicht „verirrte Einzelmeinungen“ zu vertreten). Hauptkritikpunkte zum Normenunwesen wurden daher im letzten Jahr im Kollegenkreis zusammengetragen und via Umfragen innerhalb der Berufsgruppe „abgesichert“.
- 95% befürworten, Architekturschaffende als Vertreter der öffentlichen Interessen verbindlich in den Normenprozess einzubinden.
- 93% befürworten, das Normenwesen ähnlich wie in der Schweiz an die Berufsgruppe zu koppeln.
- Die Häufigkeit der Änderungen werden von der Kollegenschaft aus technischer Sicht als wenig (24%) bzw. nicht gerechtfertigt (76%) gesehen
- Sicherheitsbestimmungen wie z.B. jene in Önorm B 3417 sind zu hinterfragen, wenn 95% der antwortgebenden Architekturschaffenden die in dieser Norm geforderten Geländer an den Dachrändern für überzogen bzw. völlig überzogen halten.
- „Offenheit für Kritik“ war bisher eine Schutzbehauptung des Normungsinstitutes:
-- Beispiel 1: Eine Maileinladung (30.4.2015) zu 52 Normungsdokumenten („Projektanträgen“) innerhalb Frist Stellung zu nehmen, ist zum Scheitern verurteilt oder glaubt jemand ernsthaft, dass freiberufliche Planer ehrenamtlich in eine solche Aufgabe einsteigen?
-- Beispiel 2: Auf konkrete Kritikpunkte (z.B. zu Önorm B3417) anlässlich einer Diskussion mit Frau Dr. Stampfl-Blaha (siehe derPlan 10 2013) gab es NULL Reaktion.
- Statt Themenkreise in wenigen Normen zusammenzufassen, werden sie auf viele Normen / Regelwerke verteilt. Der Stababstand für das „richtige“ Geländer eines Kinderspielplatzes auf einer Wohnhausanlage ist dafür ein gutes Beispiel (91% halten dies für völlig unakzeptabel, 8% für unakzeptabel).
_Daher sind einfache und klare Formulierungen ohne Mehrfachdefinitionen und Überschneidungen notwendig.
_Fachkompetenz im Normenwerdungsprozess muss zentrale Rolle spielen (die Haltung der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten ist also diesbezüglich viel zu "weich").
- Von den rund 3.000 Normen für den Baubereich sind rund 600 österreichische Normen, der Rest sind europäische und internationale Normen. Geht damit die Kritik an der Normenflut nicht ins Leere?
[Herbert Ablinger] Die Kritik an der Normenflut bezieht sich nicht nur auf österreichische Normen, aber wer vertritt öffentliche Interessen im (internationalen) Normenwerdungsprozeß?
- Wie bewerten Sie das neue Normengesetz?
[Herbert Ablinger] Verbindliche Normen und die Teilnahme an der Normung sollen zukünftig kostenfrei sein. Das sind aber schon so ziemlich die einzigen guten Nachrichten. Die „Mitwirkung der interessierten Kreise an der Normung“ (im §4) wird wohl weiterhin in fester Hand bezahlter Lobbyisten bleiben. Und ob andere (wie z.B. Landesbauabteilungen oder gemeinnützige Bauträger) die Kraft und die Kompetenz einbringen, öffentliche Interessen und ein inhaltlich koordiniertes, fachlich präzises Bauregelwerk durchzusetzen, wird die Zeit zeigen. Es bleibt ein wenig Hoffnung auf einen starken Normungsbeirat, da liegt es sicherlich sehr an den handelnden Personen. Nur ein Mitglied der Ingenieur- und Architektenkammer im Normenbeirat ist zu wenig.
Wenn die öffentliche Hand will, dass Architekten und Ingenieure öffentliche Interessen in Normenausschüssen vertreten, sind diese Leistungen zu honorieren. Sonst bleibt das Normenunwesen bestehen.
- Vor einer Woche fand das erste Dialogforum Bau zur Vereinfachung von Bauregeln statt. Ist das der Startschuss für ein neues Miteinander und ein Schritt in die richtige Richtung?
[Herbert Ablinger] Zu erwarten, dass Architekten und Ingenieure aktiv in ihrer Freizeit die zukünftigen Bauregeln gestalten, ist absurd. Letztendlich wird sich zeigen, ob und wie es gelingt, Architekten und Ingenieure einzubinden. Umfragen wie jene der LeonardoWelt wären vorbildhaft, wie man ein kohärentes Meinungsbild zu konkreten Fragestellungen aus der Fachwelt bekommt, aber da muss man sehr aktiv auf die Planer zugehen.
- Die Möglichkeit, sich in den Normungsprozess einzubringen, gab es auch schon vor dem Dialogforum. Muss sich die Branche den Vorwurf gefallen lassen, sich zu wenig eingebracht zu haben?
[Herbert Ablinger] Der Normenwerdungsprozess war und ist zu komplex und zeitintensiv, als dass man dies als Hobby betreibt. Ehrenamtlichkeit hat hier nichts verloren. Trotzdem setzt und setzte sich LeonardoWelt massiv dafür ein, konkrete Kritikpunkte bzw. Verbesserungsvorschläge zu sammeln, die Umfragen mit den Ergebnissen vom letzten Jahr sind öffentlich zugänglich (Link).
- Welche konkreten Auswirkungen wird das neue Normengesetz haben?
[Herbert Ablinger] Gegenfrage: Wie werden Richter zukünftig die im Normengesetz festgeschriebene „Freiwilligkeit der Anwendung von Normen“ interpretieren? Normen werden wohl zivilrechtlich wesentliche Grundlage für richterliche Entscheidungen bleiben.
Wenn ein Mieter vergisst, bei Regen die Terrassentür zuzumachen und ein Sachverständiger feststellt, dass x Punkte im Umfeld dieser Tür nicht normgemäß ausgeführt wurden und ein Richter den Planer dann für den Wasserschaden durch den Schlagregen in die offene Tür haftbar macht, bleibt wenig Hoffnung.
Es wird wohl sehr von den handelnden Personen abhängen, ob die im Normengesetz formulierten und durchwegs positiven Grundsätze wie z.B. Kohärenz, Transparenz und Offenheit tatsächlich erreicht werden.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, deshalb möchte ich mit einer positiven Aussicht schließen: Vielleicht gelingt es, die Regeln für und rund ums Bauen in einer neuen Baukunst-Technik-Wikipedia völlig neu aufzurollen.